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JAMES A, PETERS
MEMOIRES
L’AGADEMIE IMPERIALE DES SCIENCRS DE ST.-PETERSBOU RG, VIr SERIE. Tone XIV, N’ 6
Bes; DER VIPERIDEN.
nebst Bemerkungen
UBER DIE GROGRAPIISCR VERBREITUNG DIESER GIRTSEHLANGEN-PANIIIE,
VON
Dr. Alexander Strauch, Mitgliede der Akademie
(Mit zwei Kupfertafeln.)
Sr.-PETERSBOURG, 1869 Commissionnaires de l’Acad&mie Impe6riale des sciences:
ä St.-Petersbourg, a Rise, a Leipzig, MM. Eggers et Cie, H. Schmitzdorff, M.N. Kymmel; M. L&opold Voss,
et Jacques Issakof; — Prix: 1 Rbl. 35 Kop. = 1 Thlr. 15 Ngr. ge ensan
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“Imprimerie par ordre de l’Academie Imperiale des sciences.
Aoüt 1869. C. Vesselofski, Secretaire perpetuel.
Imprimerie de l’Academie Impe&riale des sciences. (Wass.-Ostr., 9 ligne, NO 12.)
VEURSWENRUTE
Als ich vor etwa zwei Jahren den Entschluss fasste, die geographische Verbreitung der Giftschlangen zu bearbeiten und die für diesen Zweck erforderlichen literarischen Vor- arbeiten begann, erkannte ich leider nur zu bald, dass eine solche Aufgabe bei der grossen Confusion, die in der systematischen Anordnung der 7Toxicophidier herrscht, absolut nicht durchführbar sein würde. Ein genauer Vergleich der,verschiedenen Classificationen, welche seit dem Erscheinen von Schlegel’s berühmtem Essai sur la Physionomie des Serpens für die Toxicophidier proponirt worden sind, lehrte mich nämlich, dass die einzelnen Herpeto- logen nicht einmal hinsichtlich der Zahl und Umgrenzung der Familien, geschweige denn der Gattungen und Arten mit einander übereinstimmen, und es musste also die in Rede stehende Unterordnung zuerst in systematischer Beziehung einer gründlichen Revision unterworfen werden, bevor an eine Bearbeitung derselben in zoogeographischer Beziehung zu denken war. Ich unternahm denn auch diese Revision und kam hinsichtlich der Zahl und Umgrenzung der Familien, deren ich, wie die meisten Autoren, vier annehme, bald in’s Klare; eben so hielt es auch nicht schwer, die grosse Menge der z. 'Th. ganz unhaltbaren Gattungen auf das gehörige Maass zu reduciren, bei der Unterscheidung der einzelnen Arten dagegen stellten sich mir auf Schritt und Tritt Hindernisse entgegen, die ich bei der Ober- flächlichkeit und Ungenauigkeit vieler Artbeschreibungen nicht zu überwinden vermochte, und deren Beseitigung vielleicht überhaupt nur nach Vergleich der Originalexemplare zu diesen Beschreibungen möglich sein wird.
Die Ueberzeugung, dass das mir zu Gebote stehende Material an Giftschlangen zu einer systematischen Uebersicht der Arten dieser Unterordnung bei Weitem nicht ausreicht, nöthigte mich denn auch, meinen ursprünglichen Plan aufzugeben, und ich beschloss, um wenigstens einen Theil der von mir über das Vorkommen der Toxicophidier bereits gesam- melten Notizen zu verwerthen, mich auf die Bearbeitung einer einzigen der vier Giftschlangen- Familien zu beschränken, dieselbe dafür aber nicht allein in zoogeographischer, sondern auch in
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systematischer Beziehung zu erläutern. Meine Wahl fiel auf die Familie der Viperiden, theils weil dieselbe am wenigsten artenreich ist und dabei meist auffallende, d.h. leicht von einander zu unterscheidende Arten enthält, theils aber auch weil das mir zu Gebote stehende Material der akademischen Sammlung zu jener Zeit gerade an Viperiden verhältnissmässig noch am reichsten war. Aber auch die Bearbeitung dieser kleinen Familie hätte ich kaum in einer den gegenwärtigen Ansprüchen der Wissenschaft selbst nur einigermaassen ent- sprechenden Weise auszuführen vermocht, wenn mir nicht die Gelegenheit geworden wäre, in den Sommermonaten des verflossenen Jahres die Museen zu Berlin, Halle, Göttingen, Leyden, München, Stuttgart und Wien zu besuchen und die daselbst vorhandenen meist reichen Sammlungen von Giftschlangen, welche mir in der liberalsten Weise zur Disposition gestellt wurden, mit in den Kreis meiner Untersuchungen zu ziehen. Durch Benutzung aller dieser Materialien bin ich denn in den Stand gesetzt worden, von den 22 Arten, welche gegenwärtig in der Familie der Viperiden zu unterscheiden sind, nicht weniger als 19 aus eigener Anschauung kennen zu lernen, und da mir von diesen 19 Arten im Ganzen 392 Exemplare zur Untersuchung vorgelegen haben, so glaube ich mich wohl der Hoffnung hin- geben zu können, dass die Merkmale, welche ich in der vorliegenden Abhandlung zur Unter- scheidung der einzelnen Arten benutzt und meist an zahlreichen Exemplaren verificirt habe, auch für alle Fälle stichhaltig sein werden.
Was nun die Einrichtung der nachfolgenden Abhandlung anbetrifft, so habe ich die Synopsis der Viperiden genau nach deniselben Plane ausgearbeitet, wie meine im Jahre 1866 veröffentlichte Synopsis der Orocodiliden, nur schien es mir nothwendig, hier auch die Färbung und Zeichnung zu berücksichtigen, da diese Verhältnisse bei den meist bunten Vipern nicht wenig zum leichteren Erkennen der Arten beitragen, während sie bei den Crocodiliden so gut wie gar keine Bedeutung haben. Es sind also die einzelnen Viperiden- Arten, deren Zahl sich, wie schon bemerkt, auf 22 beläuft, und die ich in drei Gattungen vertheilt habe, nicht detaillirt beschrieben, sondern nur kurz charakterisirt, jedoch ist da- bei auf alle Organisationsverhältnisse, die irgend etwas der betreffenden Species Rigenthüm- liches besitzen, Rücksicht genommen. Um ferner das Erkennen der Arten zu erleichtern, habe ich jeder derselben ausser der Diagnose und der Beschreibung von Färbung und Zeich- nung noch einige Bemerkungen über die wesentlichsten und am meisten in die Augen fallen- den Unterscheidungsmerkmale beigefügt und zugleich auf die Differenzen, welche sie von den ihr zunächst verwandten Arten darbietet, aufmerksam gemacht. Alsdann bin ich be- müht gewesen, sowohl bei jeder Gattung, als auch bei jeder Art eine möglichst vollständige Aufzählung der Synonymie zu geben, und habe die einzelnen Citate stets in den Original- werken nachgeschlagen, jedoch mit Ausnahme einiger wenigen, die ich wegen Mangels der betreffenden Werke kopiren musste und die durch ein dahintergestelltes * ausgezeichnet sind; in allen Fällen, wo ich ein Synonym anders deuten zu müssen glaubte, als es bisher geschehen war, habe ich die Gründe für meine abweichende Ansicht eines Genaueren ausein- andergesetzt. Hinsichtlich der Synonymie der Arten muss ich noch bemerken, dass ich
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darin nur solche Namen aufgeführt habe, welche von einer Beschreibung, einer Diagnose, oder doch wenigstens von einigen das Erkennen der Art ermöglichenden Bemerkungen be- gleitet sind, wesshalb denn auch alle Namen aus Wagler’s Natürlichem System der Amphibien, Fitzinger’s Systema Reptilium und überhaupt aus allen Werken, in welchen die Species nur dem Namen nach, ohne alle Charakteristik, aufgeführt werden, fortgelassen sind; eben so hielt ich es auch für überflüssig, einen Theil der älteren Literatur, wie Suckow’s Naturgeschichte der Thiere, Borowski’s Naturgeschichte des Thierreichs, Müller’s Bearbeitung des Linne’schen Natursystems und ähnliche Compilationen, die sämmtlich in Donndorff’s Zoologischen Beiträgen zusammengetragen sind, zu berücksich- tigen, und von den zahlreichen Sammlungskatalogen habe ich nur die des British Museum und des Museum’s zu Pavia aufgeführt, da in denselben die Arten mit Diagnosen oder kurzen Beschreibungen versehen sind. Den Schluss jeder Artbeschreibung bildet ein besonderer Abschnitt, in welchem ich bemüht gewesen bin, den Verbreitungsbezirk, oder wo das nicht möglich war, wenigstens das Vorkommen der betreffenden Art möglichst genau zu schildern, und wenngleich die Angaben über die geographische Verbreitung der Vipern zur Zeit noch sehr ungenügend und lückenhaft sind, so habe ich es doch versucht, sie in einem eigenen Kapitel zu einer kurzen Uebersicht über die Verbreitung der Viperiden auf dem Erdballe zusammenzustellen.
Endlich habe ich der vorliegenden Abhandlung noch ein systematisches Verzeichniss sämmtlicher im hiesigen akademischen Museum vorhandenen Viperiden angehängt und darin bei jedem Exemplar die Zahl der Schuppenreihen im vorderen Drittel des Rumpfes, so wie die Zahl der Bauch- und Schwanzschilder angegeben: die Schilderzahl ist in der allgemein gebräuchlichen Formel (Bauchschilder + Analschild -+ Schwanzschilder) ausgedrückt, und die Zahl der Schuppenreihen habe ich durch eine der Formel vorgestellte und von ihr durch ein Kolon getrennte Ziffer angegeben; selbstverständlich zeigt die vierte und letzte Ziffer bei den Vipera-Arten, die doppelte Schwanzschilder besitzen, die Zahl der Paare und nicht die der einzelnen Schilder an.
Schliesslich ergreife ich mit Freuden die Gelegenheit, den Herrn Professoren Giebe in Halle, Keferstein in Göttingen, Krauss in Stuttgart, Peters in Berlin, Schlegel in Leyden, v. Siebold in München, so wie Herrn Custos Dr. Steindachner in Wien hiemit meinen verbindlichsten Dank zu sagen für die ausserordentliche Liberalität, mit welcher sie mir die ihrer Obhut anvertrauten Sammlungen in der ausgedehntesten Weise zur Disposition gestellt haben.
Die Giftschlangen, Toxicophidia, bilden bekanntlich die dritte und letzte Unterordnung der Schlangen und besitzen bei aller Verschiedenheit in Habitus, Organisation und Lebens- weise ein gemeinsames Merkmal, durch welches sie mit Sicherheit und ziemlicher Leich- tigkeit von den beiden anderen Unterordnungen, den Scolecophidiern und Azemiophidiern, unterschieden werden können, nämlich den Giftapparat. Dieser Giftapparat, der stets paarig ist, besteht aus einer besonderen, in der Temporalgegend liegenden Drüse, deren Aus- führungsgang auf einen der Länge nach von einem Kanale durchbohrten Zahn, den soge- nannten Giftzahn, ausmündet, und ist sowohl in anatomischer, als auch in physiologischer Beziehung so oft geschildert und beschrieben worden, dass ich ihn als vollkommen bekannt voraussetzen und füglich mit Stillschweigen übergehen kann. Nur die Giftzähne muss ich einer specielleren Besprechung unterziehen, und zwar nicht allein desshalb, weil dieselben als einziges äusserlich wahrnehmbares Kriterium der Toxicophidier eine nicht unbedeutende Rolle in der systematischen Eintheilung dieser Thiere spielen, sondern auch desshalb, weil von Seiten der Verfasser der Erpetologie generale z. Th. ganz irrige Ansichten über den’ Bau dieser Organe verbreitet worden sind.
Die Giftzähne der Schlangen, die sich von den übrigen Zähnen dieser Geschöpfe be- kanntlich stets durch bedeutendere Grösse und ausgesprochen pfriemenförmige Gestalt unterscheiden, kommen ausschliesslich nur im Oberkieferbein vor und sind sämmtlich nach ein und demselben Typus gebaut. Ausser einer an der Basis befindlichen Höhlung, die für die Ernährungsorgane des Zahnes bestimmt ist und allen Schlangenzähnen ohne Ausnahme zukommt, besitzt jeder Giftzahn noch einen der Länge nach verlaufenden Kanal, den soge- nannten Giftkanal, der immer an der vorderen, convexen Seite des Zahnes liegt und mit zwei Oeffnungen nach aussen mündet. Die eine dieser Oeffnungen, die stets eine mehr oder weniger rundliche Gestalt besitzt, befindet sich nahe der Basis des Zahnes und vermittelt, indem sie sich beim Oeffnen des Rachens und der dadurch bedingten Lagenveränderung des Zahnes an den Ausführungsgang der Giftdrüse anlegt, den Eintritt des Giftes in den Zahn, die andere Oeffnung dagegen, die an der Spitze des Zahnes liegt und zum Austritte des
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Giftes dient, ist immer spaltförmig'). Bei der Mehrzahl der Giftschlangen sind nun diese beiden Oeffnungen am Giftzahn durch eine feine, oft schwer wahrzunehmende Spalte mit einander verbunden und der Giftkanal folglich vorn nicht ganz geschlossen, bei der Minder- zahl dagegen erscheint der Zahnkanal vollkommen abgeschlossen und es findet sich an Stelle der Spalte höchstens eine feine Linie; hiernach unterscheidet man denn auch zwei Katego- rien von Giftzähnen, nämlich gefurchte, d. h. solche, deren Kanal vorn eine Spalte zeigt, und glatte oder solche mit rings abgeschlossenem Kanal. Die Spalte an den gefurchten Gift- zähnen hat jedoch schwerlich irgend eine physiologische Bedeutung, da sie stets so eng ist, dass eine mehr oder weniger viscide Flüssigkeit, wie das Schlangengift, unmöglich durch sie nach aussen treten kann, und es muss daher ihre Anwesenheit einen anderen Grund haben. Dieser Grund ist denn auch nicht schwer zu finden, da schon das Vorhandensein eines Analogons dieser Spalte au den glatten Giftzähnen darauf hinweist, dass dieselbe mit dem Entwickelungsleben des Zahnes in Beziehung steht und wohl nur als ein Ueberbleibsel aus einer früheren embryonalen Epoche aufgefasst werden muss, Und in der That verhält es sich auch so, denn alle Autoren, die über die Bildung und das Wachsthum der Giftzähne Untersuchungen angestellt haben, stimmen darin überein, dass der Entstehung des Kanals stets die Bildung einer Furche vorausgeht, und dass der Kanal durch Aneinandertreten oder auch Verwachsen der Ränder dieser Furche entsteht.
Dug2&s’), der meines Wissens die Entwickelung der Giftzähne zuerst klar und deutlich auseinandergesetzt hat, schildert den Vorgang, wie folgt: «Un petit cöne d’os &maille, ereux et support6 par un cöne membraneux ou plutöt charnu (pulpe dentaire) en est le premier germe; peu-a-peu le cöne s’allonge en croissant vers la base et conservant toujours sa ca- vit& et des parois quelquefois-assez minces, surtout s’il s’agit d’un crochet & venin. Pour ceux-ci, le cöne, des ses premiers accroissemens, s’aplatit et se creuse en gouttiere sur sa face ant6rieure ou convexe; & mesure qu’il s’accroit, la gouttiere devient plus profonde, si le serpent est de ceux qui n’ont que peu de dents maxillaires; elle reste superficielle et se reduit, depuis le commencement jusqu’ & la fin, A un simple sillon longitudinal, chez la plu- part des serpens ä crochet postsrieur comme le Col. monspessulanus. Dans les deux cas, la cavit& du cöne a une coupe semi-lunaire; dans le premier seulement, les bords de la gout- tiere ne tardent pas & se rapprocher, & se toucher m&me ä& quelque distance de la pointe, de sorte qu’elle se convertit en un canal entour& par la cavit& r&elle de la dent de plus en plus aplatie; aussi & une certaine hauteur, cet osselet semble-t-il forme de deux cönes courbes, enfermös l’un dans l’autre, mais se touchant du cot& convexe. Le plus petit, le plus inte- rieur, est celui de deuxieme formation; il est ouvert en bas, c’est-A-dire vers la pointe par
1) Man vergleiche die speciell über den Bau der | pars 1. (1828) p. 143—158, so wie den betreffenden Ab- Giftzähnehandelnden Arbeitenvon Smith in: Philosophi- | schnitt in Fischer’s Familie der Seeschlangen. Hamburg cal Transactions 1818 p. 471—476, von Knox in: Mem. | 1855 p. 18. : Werner. nat. hist. Soc. V. part 2. (1826) p. 411—423 und 2) AnnalesdesSciencesnaturelles2deserie. III, p.146. von Schlegel in: Nov. Act. Acad. Leop. Carol. XIV.
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une boutonniere qui n’est que le reste de la gouttiere commencante; dans le reste de son etendue il semble ferme, mais il est toujours possible de decouvrir, sur lä convexite du crochet, la fente longitudinale qui resulte du rapprochement des deux bords de cette gout- tiere. Jusque-lä, le crochet ne serait point apte & transmettre le venin, car cette fente est trop etroite pour l’admettre; mais quand l’accroissement de cette arme dangereuse approche de son complement, la base du cöne se renfle tout en s’allongeant, les bords de la gouttiere s’&cartent de nouveau et forment en haut une deuxieme boutonniere, mais plus large et plus profonde que celle d’en bas, propre enfin & admettre le liquide venimeux qui doit sortir, lors des morsures, tres pres de la pointe aiguö du erochet. J’ai constat& cette structure et ce d&veloppement sur des dents de Orotale, de Drigonocephale et de Naja.»
Schlegel'), der den Bau und die Entwickelung der Schlangenzähne gleichfalls sehr eingehend untersucht hat, ist zu ganz gleichen Resultaten gelangt, wie Duges. Nach Schlegel’s Untersuchungen besteht jeder Schlangenzahn im ersten Entwickelungsstadium aus einer Lamelle mit einwärts gerollten Rändern und bietet folglich ‚an seiner vorderen Fläche eine breite Furche dar: bei den soliden Zähnen verschwindet diese Furche schon . sehr früh, bei den glatten Giftzähnen dagegen bleibt sie etwas länger offen, schliesst sich aber, sobald der Zahn ausgewachsen ist, gleichfalls vollkommen; bei den gefurchten Gift- zähnen bleibt sie in Form einer meist äusserst feinen Spalte zeitlebens bestehen und bei den hinteren Furchenzähnen der giftlosen Schlangen, der sogenannten Opistoglyphen, schliesst sie sich gar nicht, sondern behält nahezu ihre ursprüngliche Form bei.
Ungeachtet dieser klaren Auseinandersetzung über den Bau und die Entwickelung der Giftzähne ist von M. C. Dumeril, der bekanntlich den grösseren Theil seines Lebens speciell dem Studium der Herpetologie gewidmet hat, fast zwanzig Jahre später eine durch- aus falsche Darstellung der gefurchten Giftzähne veröffentlicht worden. Dum6ril, der seine Eintheilung der Ophidier ausschliesslich auf den Zahnbau begründet hat und daher die Zähne wohl sehr gründlich untersucht haben müsste, spricht nämlich den gefurchten Gift- zähnen den Giftkanal völlig ab und behauptet, sie besässen nur eine Furche an der vorderen Seite, welche zum Abflusse des Giftes dient; demzufolge lautet denn auch die Charakteristik seiner Unterordnung Proteroglyphes, welche eben die Giftschlangen mit gefurchten Giftzähnen enthält, wörtlich, wie folgt: «Serpens dont les crochets anterieurs sont canneles et non per- fores dans leur base.»°) Wie er zu dieser Ansicht gekommen ist, lässt sich schwer begrei- fen, denn abgesehen von den recht zahlreichen Beschreibungen und bildlichen Darstellungen der gefurchten sowohl, wie der glatten Giftzähne, die ihm nicht unbekannt sein konnten, hätte er sich bei einer selbst nur oberflächlichen Untersuchung der Giftzähne einer grösseren Art aus seiner Unterordnung Proteroglyphes, etwa der Naja tripudians Merr., leicht von der Irrigkeit seiner Anschauungsweise überzeugen können. Wenn man nämlich den Gift-
1) Schlegel. Essai sur la Physionomie des Serpens I. p. 28. 2) D. et B. Erpetol. gener. VII. p. 1178.
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zahn der gemeinen Brillenschlange untersucht, so fällt einem freilich zuerst die Längsfurche. an seiner vorderen convexen Seite in die Augen, die anfangs ziemlich breit ist, sich aber gegen das Centrum, d. h. die Längsaxe des Zahnes rasch verengt und endlich in die mit blossem Auge nicht mehr wahrnehmbare Längsspalte übergeht: vom Kanal ist bei Betrachtung des Zahnes von der Vorderseite allerdings nichts zu sehen, bringt man aber den Kopf des Thieres in eine solche Lage, dass der Giftzahn mit der Seite gegen das Licht gerichtet ist, und betrachtet denselben alsdann, so scheint der Giftkanal in seiner ganzen Länge vollkom- men deutlich durch und ist auch mit unbewaffnetem Auge leicht wahrzunehmen; noch besser lässt sich die ganze Einrichtung erkennen, wenn man an einem skeletirten Exemplare unter. sucht, oder wenn man den Zahn vom Os supramaxillare ablöst und mit der Loupe betrachtet. Dumeril hat nun skeletirte Exemplare der Naja tripudians Merr. zu seiner Disposition gehabt, wenigstens hat er eine vortreffliche Abbildung!) des Schädels dieser Schlange ver- öffentlicht, und dennoch ist ihm der Giftkanal entgangen! Dieses Factum erscheint um so merkwürdiger, als Dum&ril die Anwesenheit des Kanals in den gefurchten Giftzähnen früher gekannt hat, denn in der synoptischen Tabelle,?) in welcher er und Bibron zum ersten Male ihre Eintheilung der Schlangen bekannt gemacht haben, schreiben sie allen Giftschlangen durchbohrte Giftzähne zu und unterscheiden, je nachdem diese durchbohrten Zähne an der vorderen convexen Seite eine Furche haben oder nicht, zwei Unterordnungen Apistophides und Thanatophides, deren Benennungen Dum6ril später?), nach Bibron’s leider zu früh erfolgtem Tode, in Proteroglyphes und Solenoglyphes abgeändert hat, und zwar nur desshalb, weil er entdeckt haben wollte, dass die gefurchten Giftzähne keinen Kanal be- sitzen. Ohne mich weiter auf eine Erklärung dieser allerdings sehr auffallenden Wider- sprüche einzulassen, bemerke ich nur, dass Dum&6ril’s irrige Angabe über den Bau der gefurchten Giftzähne, ungeachtet sie von verschiedenen Seiten widerlegt und berichtigt worden ist, in Frankreich auch gegenwärtig noch Geltung zu haben scheint, mindestens äussert sich Prof. A. Dume6rilt), der Nachfolger seines Vaters am Jardin des Plantes, da- hin, dass nur bei einem Theile der Schlangenarten aus der Unterordnung der Proteroglyphes der Kanal im Giftzahn nachgewiesen ist, während es doch seit mehr als dreissig Jahren fest- steht, dass alle Giftzähne nach ein und demselben Typus gebaut und folglich auch alle mit einem Giftkanale versehen sind.
Es ist somit die Differenz zwischen den gefurchten und glatten Giftzähnen nur eine sehr unbedeutende, und ich habe selbst mehrmals Gelegenheit gehabt, mich davon zu über- zeugen, wie schwierig es in vielen Fällen ist, zu entscheiden, welche Art von Zähnen man . vor sich hat, denn bei den kleineren Arten unter den Toxicophidiern, deren Zähne selbst- verständlich auch klein sind, lässt sich die Frage, ob an einem Giftzahne eine wirkliche
1) Memoires de l’Acad. d. Sciences de Paris XXIII. 3) M&moires de l’Acad. d. Sciences de Paris XXTII. (1853) pl. IIp 13. p- 419. > 2) D. et B. Erpetol. gener. VI. p. 71. 4) Archives du Museum X. p. 212, Note 4.
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Spalte, oder aber bloss das Analogon derselben, die feine Längslinie, vorhanden ist, nur dann mit Bestimmtheit beantworten, wenn man einen Querschnitt des betreffenden Zahnes unter dem Mikroskope untersucht. Schon dieses letzteren Umstandes wegen halte ich die Beschaffenheit der Giftzähne, die auch in den neuesten Eintheilungen der Giftschlangen noch eine Rolle spielt, für ein in systematischer Beziehung durchaus werthloses Merkmal und werde weiter unten zeigen, dass dieses Merkmal in letzter Zeit durch genauere Untersu- chung einiger bis dahin noch wenig bekannten Schlangenformen auch wirklich alle diagnosti- sche Bedeutung verloren hat.
Was nun die systematische Eintheilung der Toxicophidier anbetrifft, so sind, seit Wieg- mann im Jahre 1832!) alle Giftschlangen in eine Unterordnung vereinigt hat, die Ansich- ten der verschiedenen Autoren im Ganzen wenig auseinandergegangen. Wiegmann, dem unstreitig das grosse Verdienst gebührt, zuerst die Zusammengehörigkeit aller Giftschlan- gen erkannt und sie als Serpentes venenati in eine Unterordnung zusammengefasst zu haben, theilt diese Unterordnung in folgende 4 Familien:
1. Hydrini, Seeschlangen. Kopf mit Schildern bekleidet; Nasenlöcher oben auf der Schnauze; Rumpf zusammengedrückt, an der Bauchseite mit Schuppen, seltener mit Schildchen bekleidet; Schwanz kurz, stark zusammengedrückt, ein vertikaler Ruderschwanz. Giftzähne vorn im Oberkiefer vor mehreren undurchbohrten Zähnen.
2. Elapidae, Giftnattern. Kopf mit Schildern bekleidet; Zügelschilder fehlen meist; Pupille rund; Nasenlöcher seitlich an dem Schnauzenende; Körper rundlich oder durch Erhebung der Rückenfirste stumpf dreikantig; Bauchseite mit Schildern bekleidet; Schwanz kurz, rundlich, mit paarigen oder unpaaren Schildern. Hinter den vorn im Ober- kiefer stehenden Giftzähnen finden sich meist einzelne kleinere, undurchbohrte Zähne. Der Oberkiefer hält hinsichtlich seiner Länge zwischen denen der Nattern und Ottern die Mitte.
3. Viperini, ®ttern. Kopf mit Schuppen oder bis zum Scheitel mit kleinen Schil- dern bedeckt, hinten sehr breit, stark abgesetzt; die Pupille länglich, vertical; Schwanz kurz, rundlich, unterhalb meist mit paarigen Schildern bekleidet. Der kurze Oberkiefer trägt nur Giftzähne.
4. Trotalini,. Grubenottern. Kopf breit, eiförmig oder stumpf dreieckig; Nasenlöcher seitlich an der Schnauzenspitze, zwischen ihnen und dem Auge eine tiefe von Schildehen eingefasste Grube; Pupille länglich, senkrecht; Kiefer und Giftzähne wie bei voriger Familie.
Diese Eintheilung hat, da sie in einem Handbuche?) publieirt worden ist, durchaus keine Berücksichtigung gefunden und doch ist sie unter allen bisher vorgeschlagenen un-
1)’ Die zahlreichen vor 1832 vorgeschlagenen Ein- | g&ner. VI. p. 12—48) besprochen worden sind. theilungen der Ophidier, in welchen die Giftschlangen 2) Wiegmann und Ruthe. Handbuch der Zoolo- noch nicht in eine Gruppe vereinigt sind, übergehe ich | gie. 1. Aufl. Berlin 1832. p. 195—197. hier, da sie bereits von Dumöril und Bibron (Erpetol.
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streitig die beste, sowohl hinsichtlich der Einfachheit und Uebersichtlichkeit, als auch hin- sichtlich der Schärfe der Unterscheidungsmerkmale.
Fünf Jahre nach Wiegmann veröffentlichte Schlegel sein berühmtes Werk, Essai sur la Physionomie des Serpens, worin er die Toxicophidier gleichfalls als besondere Unter- ordnung auffasst, sie aber nur in drei Familien, Serpens de mer, Serpens venimeux colubri- formes und Serpens venimeux proprement dits eintheilt. Da Schlegel, wie schon der Titel seines Werkes andeutet, seine Eintheilung ausschliesslich auf den Allgemeinhabitus basirt und geflissentlich alle sogenannten künstlichen Merkmale vermieden hat, so ist es begreiflich, dass er die Viperiden und Crotaliden, die im Habitus einander sehr ähnlich sind und sich nur durch die Ab- oder Anwesenheit der Frenalgruben von einander unterscheiden, unter dem Namen Serpens venimeux proprement dits in eine Familie vereinigt hat; die beiden an- deren Familien entsprechen genau den Wiegmann’schen, und zwar die Serpens de mer den Hydrini und die Serpens venimeux colubriformes den Elapidae.
Im Jahre 1843 erschien der erste und einzige Faseikel von Fitzinger’s Systema Reptilium, der zwar nur die Gruppe der Amblyglossae unter den Sawriern speciell behandelt, dem aber als Einleitung (p. 15— 56) eine Uebersicht über das ganze System der Reptilien und Amphibien, die Fitzinger in eine Klasse vereinigt, vorausgeschickt ist; aus dieser Uebersicht, die nur die Namen der einzelnen systematischen Einheiten ohne alle Charakte- ristik enthält, geht hervor, dass Fitzinger gegen seine frühere Änsicht') sämmtliche Gift- schlangen in eine besondere Section Chalinophidia vereinigt und in 5 Familien, Aydrophes, Geophes, Aspidophes, Chersophes und Bothrophes vertheilt wissen will. Von diesen fünf Familien umfasst die erste, Zydrophes, die Seeschlangen, die letzte, Dothrophes, die Orotali- den und beide entsprechen somit genau den beiden Wiegmann’schen Familien Aydrını und Crotalini. Die drei anderen Familien dagegen sind in einem ganz neuen Sinne gefasst, und selbst die Familie Chersophes, die sämmtliche Vipern enthält, entspricht nicht der Wiegmann’schen Familie Viperini, sondern enthält ausser den echten Vipern noch zwei Gattungen, Zchiopsis und Acanthophis, von denen die erstere auf Naja curta Schleg. (Alecto curta Dum.) basirt ist; aus dem Umstande, dass sowohl Naja curta Schleg., als auch Acan- thophis antarctica Shaw eine längliche Pupille besitzen, schliesse ich, dass Fitzinger in seiner Familie Ohersophes alle Toxicophidier mit senkrechter Pupille, denen aber die Frenal- grube fehlt, vereinigt hat. Wie sich endlich die Familien Geophes und Aspidophes, die alle übrigen Zlapiden Wiegmann’s oder Serpens venimeux colubriformes Schlegel’s umfassen, von einander unterscheiden, lässt sich, da Fitzinger die Unterscheidungsmerkmale nicht aufgeführt hat, zur Zeit nicht angeben. Ä
1) Fitzinger. Neue Classification der Reptilien. | unschädlichen Chersydrus fasciatus Shaw mit den ent- Wien 1826 p.29—34. Indiesem Werkerechnet Fitzinger | schieden giftigen Arten von Bungarus, Trimeresurus und die Seeschlangen mit Ausnahme der Gattung Platurus | Naja in ein und dieselbe Familie. zu den giftlosen Schlangen, vereinigt dagegen den völlig
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[O)
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Sechs Jahre später gab Gray') bei Gelegenheit der Publication seines Schlangen- katalogs eine Uebersicht über die Eintheilung der Ophidier, die er in zwei Unterordnungen Viperine und Colubrine Snakes eintheilt; da er jedoch unter den Viperinen nur die Orotali- den, die Viperiden und einige wenige Gattungen der Elapiden aufführt, alle übrigen Gift- schlangen dagegen, wie namentlich die Seeschlangen, zu seinen Colubrine Snakes rechnet, also giftige und giftlose durch einander wirft, so verdient seine Eintheilung als völlig ver- fehlt und werthlos keine weitere Berücksichtigung.
Die nächste Classification, welche ich zu besprechen habe, ist von M. C. Dum6ril’) in der Erpetologie genrale?) vorgeschlagen worden. Dieser Gelehrte basirt seine Einthei- lung, wie bekannt, ausschliesslich auf den Zahnbau und theilt demnach die Ordnung der Schlangen in fünf Unterordnungen, von denen die beiden letzten die Giftschlangen umfassen. Diese beiden Unterordnungen, denen er die Namen Proteroglyphes und Solenoglyphes beige- legt hat, unterscheiden sich von einander nur durch die Beschaffenheit der Giftzähne, die bei den Proteroglyphes keinen Giftkanal, sondern nur eine an der convexen vorderen Seite befindliche Längsfurche besitzen, bei den Solenoglyphes dagegen äusserlich fast glatt, dafür aber von einem geschlossenen Giftkanale durchzogen sein sollen. Die Proteroglyphes werden weiter nach der Form des Schwanzes in zwei Familien, Conocergues mit drehrundem, coni- schem und Platycergues mit comprimirtem, ruderförmigem Schwanze, eingetheilt, und eben so zerfallen auch die Solenoglyphes in zwei Familien, nämlich in Viperiens, denen die Frenal- grube fehlt, und in Orotaliens, bei welchen diese Grube stets vorhanden ist. Neu ist an dieser Eintheilung eigentlich nur die Trennung der Toxicophidier in zwei Unterordnungen, denn die vier darin vorgeschlagenen Familien entsprechen fast vollkommen den vier Fami- lien Wiegmann’s und sind nur z. Th. auf andere Merkmale basirt; während nämlich Wiegmann seine Zlapidae und Viperini vorzugsweise durch die Beschaffenheit der Kopf- bedeckungen unterschieden hat, benutzt Dumöril zur Trennung seiner Conocerques und Viperiens die Beschaffenheit der Giftzähne und gelangt, was Umgrenzung der Familien an- betrifft, zu einem nahezu gleichen Resultat. Gegen die obige Eintheilung Dumeril’s liess sich nun auch zur Zeit, als sie vorgeschlagen wurde, im Ganzen nicht viel einwenden, denn wenngleich der Unterschied zwischen den gefurchten und glatten Giftzähnen keineswegs so bedeutend ist, wie Dum£ril ihn irriger Weise schildert, so kann doch am Ende nicht ge- läugnet werden, dass ein Unterschied zwischen beiden Zahnsorten wirklich besteht und sich
1) Gray. Catalogue of the specimens of Snakes in the Collection of the British Museum. London 1849 p. 2.
2) Der VIE und IX. Band der Erpetologie generale, die beide nach Bibron’s Tode verfasst sind, stechen so- wohl was Inhalt, als auch was Form anbetrifft, so un- vortheilhaft von den früheren, zu Bibron’s Lebzeiten und unter seiner Mitwirkung herausgegebenen Bänden ab, dass ich den verstorbenen Bibron unmöglich für die zahllosen Ungenauigkeiten und die stellenweise mehr als flüchtige Redaction dieser beiden Bände verantwort-
lich machen kaun. Ich werde in Folgendem daher stets nur M. C. Dumeril allein anführen, mit Ausnahme der Citate und Synonyme, wo es sich um den vollen Titel des Werkes handelt, wo also auch beide Autoren genannt werden müssen.
3) D. et B. Erpe6tol. gener. VII. p. 1178 u. 1359. — Eine recht ausführliche Uebersicht über das von ihm adoptirte System der Ophidier hat Dumeril bereits zwei Jahre früher in den M@moires de l’Acad. d. Sciences de Paris XXIII. p. 399—536 veröffentlicht,
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stets nachweisen lässt, wenn der Nachweis auch oft mit mancherlei Schwierigkeiten ver- bunden ist. Freilich hat Dumeril sich bei Vertheilung der einzelnen Arten in die von ihm angenommenen Familien einen nicht unbedeutenden Fehler zu Schulden kommen lassen, in- dem er die längst bekannte neuholländische Schlange, Acanthophis antarctica Shaw, zu den Viperiens, also in die Unterordnung der Solenoglyphes stellt, während sie doch, wie Cope!') zuerst mitgetheilt und wie ich mich an zwei neuerdings acquirirten Exemplaren unserer Sammlung auf das Entschiedenste überzeugt habe, ganz deutlich gefurchte Giftzähne be- sitzt und folglich zu den Proteroglyphes gehört’). Abgesehen von diesem Fehler, dessen Be- richtigung nur eine kleine Abänderung in der Umgrenzung zweier Familien, der Conocerques und der Viperiens, nach sich zieht, lässt sich die Dume6ril’sche Eintheilung gegenwärtig dennoch nicht aufrecht erhalten und namentlich muss die Trennung der Giftschlangen in zwei besondere Unterordnungen durchaus aufgegeben werden. Man hat nämlich in den letzten Jahren zwei Schlangenformen entdeckt, oder richtiger gesagt, genauer untersucht, welche Dumöril nicht in natura gekannt hat und welche gleichsam eine Mittelform zwischen den Proteroglyphes und Solenoglyphes darstellen. Diese beiden Schlangen, welche gegenwärtig in eine Gattung, Dendraspis Schleg., vereinigt sind, zeigen in ihrer äusseren Erscheinung eine solche Uebereinstimmung mit den Conocergues oder Blapiden, dass die eine von ihnen, Dendraspis Jamesoniü Traill, ursprünglich als Zlaps”), die andere, Dendraspis angusticeps Smith, als Naja‘) beschrieben worden ist, und doch besitzen beide durchaus glatte Gift- zähne, die von den Zähnen der Viperiden und Orotaliden, wie ich selbst Gelegenheit gehabt habe, mich zu überzeugen, in keiner Weise zu unterscheiden sind. In welche der beiden Unterordnungen Dume£ril’s sollen nun diese Dendraspis- Arten gestellt werden? Rechnet man sie zu den Conocerques, was entschieden geschehen muss und von Seiten A. Dum&6ril’s?) auch bereits geschehen ist, so umfasst die Unterordnung der Proteroglyphes Arten mit ge- furchten und mit ungefurchten Giftzähnen und hat folglich ihr einziges Merkmal emgebüsst; berücksichtigt man dagegen nur den Zahnbau und stellt diese beiden Thiere zu den Sole- noglyphes, wobei sie selbstverständlich zum Typus einer besonderen Familie erhoben werden müssen, so wird die ganze Eintheilung eine durchaus künstliche und kann schwerlich auf einen grösseren Werth Anspruch machen, als etwa eine Eintheilung der Giftschlangen in zwei grosse Abtheilungen nach der Beschaffenheit der Subcaudalschilder, die bekanntlich bald einfach, bald getheilt sind, oder nach der Beschaffenheit der Schuppen, die entweder
1) Proc. Acad. Philadelph. XI (1859) p. 343. Cope, der sein Exemplar der Acanthophis antaretica Shaw aus dem Pariser Museum erhalten hat, nennt die Furche am Giftzahn «a delieate groove», ein Ausdruck, mit wel- chem ich mich nicht einverstanden erklären kann, da an meinen Exemplaren die Furche keineswegs auffallend fein erscheint, sondern genau so beschaffen ist, wie dieFurche am Giftzahn von Naja tripudians Merr.
2) Prof. Peters, gewiss eine der bedeutendsten
Autoritäten im Gebiete “der Ophiologie, spricht sich (Berliner Monatsberichte. 1867. p. 710) gleichfalls dabin aus, dass Acanthophis antarctica Shaw zu den Elapiden gestellt werden muss.
3) Schlegel. Kssay on the physiognomy of Serpents Translated by Traill p. 179. pl. IL £. 19, 20. #
4) Smith Illustr. of Zoology of South Africa. Rept pl. LXX.
5) Archives du Mus6öum X. p. 215.
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gekielt oder glatt erscheinen. Kurz, von dem Momente an, wo die beiden Dendraspis-Arten genauer untersucht und ihre Giftzähne als ungefurcht erkannt worden sind, ist die Trennung der Giftschlangen in die zwei von Dumeril vorgeschlagenen Unterordnungen unmöglich geworden, denn die Untersuchung dieser beiden Thiere hat auf das Entschiedenste dar- gethan, dass bei den Towicophidiern die Beschaffenheit der Giftzähne mit der übrigen Or- ganisation keineswegs immer im Einklange steht.
Im Jahre 1858 veröffentlichte der nunmehr verstorbene Prof. Jan in Mailand seinen Prodrome d’une Iconographie des Ophidiens!) und gab darin als eine Art von Prospeetus der angekündigten Iconographie eine Uebersicht über die Eintheilung der Giftschlangen. In dieser Uebersicht theilt er die Toxicodonta, unter welchem Namen er alle Giftschlangen zu- sammenfasst, in zwei Divisions, von denen die erste Proteroglypha heisst, während die zweite keinen besonderen Namen erhalten hat, aber die Solenoglyphes Dumeril’s enthält. Jede dieser beiden Divisions wird nun weiter in zwei Sous-Divisions getheilt, die jedoch keine besonderen Namen tragen. Die beiden Sous-Divisions der zweiten Division (der Sole- noglyphes) unterscheiden sich von einander durch die Ab- oder Anwesenheit der Frenalgru- ben (fossettes nasales Jan) und entsprechen somit genau den beiden Familien Viperiens und Crotaliens Dumeril’s; die beiden Sous-Divisions der ersten Division (der Proteroglyphes) da- gegen werden nach dem Vorhandensein oder dem Fehlen von soliden Oberkieferzähnen un- terschieden, und zwar in der Weise, dass die erste dieser beiden Sous-Divisions alle Protero- glyphen enthält, deren Oberkiefer nur Giftzähne trägt, die zweite hingegen alle diejenigen, welche im Os supramaxillare ausser den Giftzähnen auch noch einfache, d. h. massive un- durchbohrte Zähne besitzen. Es sind somit in dieser zweiten Sous-Division die Seeschlan- gen, die doch sicherlich eine sehr natürliche und nach allen Seiten hin scharf umgrenzte Gruppe bilden, mit dem grösseren Theile von Dum£ril’s Conocerques vereinigt, eine An- ordnung, die wohl schwerlich zu billigen ist, und deren Unhaltbarkeit Jan übrigens auch selbst eingesehen hat, denn in seinem wenige Jahre später veröffentlichten Elenco giebt er eine neue Eintheilung der 7oxicophidier, die von der eben erläuterten sehr wesentlich ver- schieden ist. In diesem Elenco?) verwirft Jan die Eintheilung der Schlangen in die drei gewiss sehr natürlichen Unterordnungen der Seolecophidia, Azemiophidia und Toxicophidia und theilt die ganze Ordnung einfach in 20 Familien, von denen zwar keine charakterisirt ist, über deren Umgrenzung und Bedeutung man jedoch durch die bei jeder einzelnen aufge- zählten, zugehörigen Gattungen und Arten einen Begriff erhält. Die fünf letzten dieser 20 Familien umfassen die Giftschlangen und sind vom Autor mit den Namen Hydrophidae, Elapidae, Dendraspidae, Viperidae und Crotalidae belegt worden. Schon die Benennungen, namentlich aber die Uebersiehtstabellen der zu jeder Familie gehörigen Genera und Species
1) Guerin Revue et Magasin de Zoologie. 2 ser. XI. | paräte Brochüre, Paris 1859, erschienen. (1859) p. 122 et 148. Diese beiden Abtheilungen sind 2) Jan. Elenco sistematico degli Ofidi deseritti e vereinigt auch unter dem oben angeführten Titel als se- | disegnati per l’Iconografia generale. Milano 1863.
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zeigen nun, dass Jan die 4 Familien der Erp6tologie gen6rale genau in demselben Umfange, in welchem Dume£ril sie gefasst, adoptirt und für die beiden oben erwähnten Dendraspis- Arten eine fünfte Familie creirt hat. Es lässt sich nun zwar nicht läugnen, dass diese neue Eintheilung der früheren, im Prodrome vorgeschlagenen, ohne Widerrede vorzuziehen ist, dennoch glaube ich, dass die Errichtung einer besonderen Familie für die Dendraspis-Arten nicht gebilligt werden kann, und zwar hauptsächlich desshalb, weil’diese Thiere ihrer gan- zen Organisation nach zu den Zlapiden gehören und sich von den übrigen Arten dieser Familie nur durch die ungefurchten Giftzähne, also durch ein Merkmal von mindestens sehr zweifelhaftem diagnostischem Werthe, unterscheiden. Ausserdem hat Jan seine Eintheilung auch keineswegs mit der unerlässlichen Consequenz durchgeführt, denn während er auf der einen Seite der Beschaffenheit der Giftzähne einen so hohen Werth beilegt, dass er sie zum Familiencharakter erhebt, berücksichtigt er dieselbe auf der anderen Seite gar nicht und rechnet Acanthophis antarctica Shaw, ungeachtet ihrer unzweifelhaft gefurchten Giftzähne, dennoch in die Familie der Viperiden. Genau dieselbe Ineonsequenz hat Jan sich auch in Bezug auf die Atractaspis-Arten zu Schulden kommen lassen, die er zu seiner Familie Bla- pidae rechnet, obwohl sie, wie Peters!) und Cope?) übereinstimmend angeben, durchaus ungefurchte Giftzähne besitzen und folglich in die Familie Dendraspidae gestellt werden müssten. S Ein Jahr nach dem Erscheinen von Jan’s oben besprochenem Prodrome veröffentlichte Cope?) seine ausschliesslich auf osteologische Merkmale basirte Eintheilung der Giftschlan- gen, in welcher er diese Thiere bei hauptsächlichster Berücksichtigung der Form und Ein- lenkung der Supramaxillarknochen in drei Familien Viperidae, Najidae und Hydrophidae eintheilt. Die erste dieser Familien, die Viperiden, charakterisirt er durch äusserst verkürzte, vertikal gestellte Oberkieferbeine, von denen jedes durch Winkelgelenke oder Charniere (ginglymoid articulations) mit dem Os frontale anterius und mit dem sehr verlängerten Os pterygoideum externum (eetopterygoid bone) seiner Seite verbunden ist und folglich einen hohen Grad von Beweglichkeit besitzt. Die beiden anderen Familien besitzen nach Cope’s Untersuchungen zwar auch verkürzte, aber horizontal- gestellte Ossa supramaxillaria, die ausserdem noch nach hinten in einen längeren oder kürzeren, oft zahntragenden Fortsatz ausgehen und durch weniger bewegliche Gelenke (imperfeetly moveable articulations) mit dem Os frontale anterius, so wie mit dem entsprechend verkürzten äusseren Flügelbein der betreffenden Seite verbunden sind. Die Verschiedenheit in Gestalt, Länge und Einlenkung der Supramaxillarknochen ist aber bei diesen 2 Familien nur eine graduelle und bietet, da der genannte Knochen bei den Hydrophidae nur etwas länger und weniger beweglich ist als bei den Najidae, kein sicheres Unterscheidungsmerkmal dar, desshalb hat Cope sich ver- anlasst gesehen, noch ein zweites, sichereres Merkmal anzugeben, und dazu die Dornfortsätze
1) Wiesgmann’s Archiv £. Naturgesch. 1855. 1. p. 55. | 3) Proe. Acad. Philadelph. XI (1859) p. 2) Proc. Acad. Philadelph. XI (1859) p. 335.
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der Schwanzwirbel gewählt, die bei den Najiden von gewöhnlicher Gestalt, bei den Hydrophiden dagegen sehr verlängert und auffallend stark comprimirt sind. Die Familie der Hydrophiden wird nicht weiter in Gruppen eingetheilt, bei den zwei anderen Familien dagegen unter- scheidet Cope noch besondere Gruppen, denen man etwa die Bedeutung von Tribus bei- legen kann. So zerfallen die Najidae je nach der An- oder Abwesenheit der Furche an den Giftzähnen in zwei Tribus, Najinae und Dendraspidinae, und die Viperidae theilt er sogar in 4 Tribus, Orotalinae, Viperinae, Atractaspidinae und Oausinae, von denen die letzte durch die Anwesenheit einer undeutlichen Furche am Giftzahn und durch einen undeutlich vom Rumpfe abgesetzten Kopf (head moderatly distinet) ausgezeichnet ist; die drei anderen Tribus besitzen durchweg ungefurchte Giftzähne und unterscheiden sich von einander durch die Frenalgrube (lachrymal fossa), die nur den Orotalinae zukommt, so wie durch die Form des Kopfes, der bei den Yiperinae sehr deutlich, bei den Atraclaspidinae dagegen gar nicht vom Rumpfe abgesetzt ist.
Diese keineswegs sehr einfache Eintheilung hat Cope übrigens selbst verworfen und im Jahre. 1864!) durch eine neue, noch bedeutend complicirtere ersetzt. In dieser letzteren berücksichtigt er in erster Linie gleichfalls nur osteologische Merkmale und theilt die Gift- schlangen zunächst in zwei Unterordnungen, Proteroglypha uud Solenoglypha, die aber durch- aus nicht mit den gleichnamigen Abtheilungen in der Erpetologie generale identifieirt werden dürfen, sondern, ungeachtet der auf die Giftzähne deutenden Benennungen, lediglich durch die Gestalt des Oberkieferbeins und die Art seiner Einlenkung von einander differenzirt sind. Die erste derselben, Proteroglypha, ist aus den vereinigten Familien Najidae und Hy- drophidae der früheren Eintheilung gebildet, die zweite, Solenoglypha, hingegen entspricht genau der ehemaligen Familie Viperidae und ist auch in die vier oben bereits als Tribus charakterisirten Familien Causidae, Atractaspidae, Viperidae und Orotalidae eingetheilt. Hinsichtlich der weiteren Eintheilung seiner Proteroglypha ist aber Cope durch fernere Studien und Untersuchungen zu einem durchaus neuen Resultate gelangt, denn während er früher sämmtliche Giftnattern (mit Ausnahme der Gattungen Atractaspis und Causus, die er damals zu den Viperidae und somit jetzt zu den Solenoglypha stellt) unter dem Namen Na- jidae in eine Familie vereinigt hatte, trennt er sie jetzt nach der An- oder Abwesenheit der Postorbitalknochen in zwei Familien, Elapidae, denen diese Knochen fehlen, und Najidae, bei welchen diese Knochen stets vorhanden sind, und unterscheidet somit unter den Pro- teroglypha drei Familien, Zlapidae, Najidae und Hydrophidae, von denen die letzte genau der gleichnamigen Familie in der früheren Eintheilung entspricht. So verdienstvoll, wich- tig und dankenswerth Cope’s Untersuchungen der Schlangenschädel überhaupt und der- jenigen der Giftschlangen insbesondere an und für sich auch sind, so lässt sich am Ende doch nicht läugnen, dass sein Versuch, auf die vorhandenen Differenzen in der Form und Einlenkung des Oberkieferbeins eine Eintheilung der Giftschlangen zu basiren, für durch-
1) Proc. Acad, Philadelph. XVI (1864) p. 231.
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aus misslungen erklärt werden muss; denn abgesehen davon, dass die von ihm benutzten Kriterien fast sämmtlich nur an skeletirten Exemplaren untersucht werden können und da- ier, so Jange noch äusserliche und viel leichter wahrnehmbare Unterscheidungsmerkmale
vorhanden sind, diesen letzteren schwerlich vorzuziehen sein dürften, ist seine Eintheilung namentlich in ihren Hauptabtheilungen eine durchaus künstliche, bei welcher den natür- lichen, vorzugsweise im Allgemeinhabitus ausgedrückten Verwandtschaften der Giftschlangen nicht im Geringsten Rechnung getragen wird. Die von ihm eingeführte Vereinigung der Gattungen Atractaspis und Causus mit den so eigenthümlich gestalteten und auf den ersten Blick zu erkennenden Viperiden und Orotaliden in ein und dieselbe Unterordnung ist voll- kommen unnatürlich, denn die Arten dieser beiden Gattungen (namentlich die Atractaspis Arten) bieten auch nicht die geringste Aehnlichkeit mit den so eben genannten Giftschlangen- formen dar, sondern gleichen vollkommen den Giftnattern und sind auch von allen übrigen Autoren zu dieser Familie gezählt worden. Rechnet man zu dieser widernatürlichen Ver- theilung der Giftnattern in verschiedene Unterordnungen noch die schwer zu billigende Vermehrung der Giftschlangen-Familien von vier auf sieben hinzu, so wird man zugeben müssen, dass Cope’s System vor den Anordnungen seiner Vorgänger in keinerlei Hinsicht den Vorzug verdient, zumal seine eigenen Untersuchungen gezeigt haben, dass der Bau des Kieferapparats bei den Toxicophidiern wider alles Erwarten nicht mit der übrigen Organi- sation Hand in Hand geht und dass daher diesem Merkmal in systematischer Beziehung auch kein grösserer Werth als etwa der Beschaffenheit der Giftzähne beigelegt werden kann. Schliesslich bleibt mir noch Günther’s Ansicht über die Eintheilung der Giftschlan-
gen kurz zu erörtern übrig. Dieser um die Herpetologie so hoch verdiente Gelehrte hat in seiner herpetologischen Fauna von British Indien!) eine ganz neue Eintheilung der Schlangen in 3 Unterordnungen vorgeschlagen, von denen die erste, Ophidis colubriformes, sämmtliche giftlosen Schlangen, sowohl die Scolecophidia, als auch die Azemiophidia, um- fasst, während die beiden anderen, Ophidii colubriformes venenosi und Ophidii viperiformes, von den Giftschlangen gebildet werden. Jede dieser beiden letzten Unterordnungen, die hier allein in Betracht kommen, wird in zwei Familien eingetheilt, und zwar die Ophidü colubriformes venenosi je nach der Form des Schwanzes in Elapidae mit drehrundem, coni- schem, und in Hydrophidae mit comprimirtem, flossenförmigem Schwanze, die Ophidii viperi- formes dagegen nach der An- oder Abwesenheit der Frenalgrube in Crotalidae und Vipe- ridae. Wie schon die Charakteristik der vier Familien andeutet, hat Günther hinsichtlich der Toxicophidier das System der Erp6tologie generale adoptirt und ist nur in so fern von Dume&ril’s Ansichten abgewichen, als er seine beiden Unterordnungen durch ein ganz neues Merkmal von einander differenzirt hat; während nämlich Dum&ril das Hauptkriterium der Beschaffenheit der Giftzähne entlehnt hat, charakterisirt Günther seine Unterordnungen, die übrigens mit denen Dumöril’s vollkommen identisch sind, dadurch, dass er den Ophidiü
1) Günther. The Reptiles of British India p. 165.
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colubriformes venenosi aufrecht stehende (erect) und unbewegliche, d. h. an ein unbeweg- liches Oberkieferbein befestigte Giftzähne zuschreibt, den Ophidiz viperiformes dagegen auf- richtbare (ereetile), d. h. solche Giftzähne, die an einen beweglichen Supramaxillarknochen festgewachsen sind!). Dieses von Günther angegebene Unterscheidungsmerkmal ist aber keineswegs stichhaltig, denn wenn es sich auch nicht läugnen lässt, dass bei den Seeschlan- gen und bei einigen Zlapiden die Giftzähne eine nahezu senkrechte Stellung haben und da- her beim Oeffnen des Rachens entweder gar nicht oder doch nur sehr unbedeutend nach vorn bewegt werden dürften, so haben doch andere Hlapiden, wie namentlich die Arten der Gattung Naja, sehr stark nach hinten gerichtete Giftzähne, die, wie ich mich selbst über- zeugt habe, hinsichtlich der Lage gar nicht von den Giftzähnen der Vipern abweichen und mit denen das Thier, falls sie beim- Aufsperren des Rachens dieselbe Richtung beibehalten sollten, wegen der vollständig nach hinten zu liegenden Spitze kaum verwunden könnte. Es unterliegt daher wohl keinem Zweifel, dass bei der Brillenschlange und den ihr zunächst verwandten Zlapiden die Giftzähne nicht «erect», sondern «erectile» sind und sich von den Giftzähnen der Viperiden und Orotaliden ‚nur durch geringere Grösse und geringere Be- weglichkeit unterscheiden, ja nach Cope’s eben angeführten Untersuchungen giebt es sogar einzelne Zlapiden, wie namentlich die Atractaspis- und Causus-Arten, welche hinsichtlich der Form und Beweglichkeit der Oberkieferbeine vollständig mit den Viperiden und Crota- liden übereinstimmen, und die Günther, wie sich aus der Charakteristik seiner Familie Elapidae entnehmen lässt, doch zu den Ophidii colubriformes venenosi rechnet. Es entbehren daher die beiden Unterordnungen, in welche Günther die Giftschlangen vertheilt wissen will, aller diagnostischen Merkmale und lassen sich somit in keinem Falle aufrecht erhal- ten; hinsichtlich der von ihm unterschiedenen vier Familien gilt, da sie mit den Familien der Erp6tologie generale vollkommen identisch sind, natürlich dasselbe, was ich oben bei Besprechung der Dum&ril’schen Eintheilung gesagt habe?).
Die vorstehende Uebersicht über die in den letzten drei Decennien vorgeschlagenen. Classificationen der Giftschlangen lehrt vor Allem, dass sämmtliche Versuche, diese Thiere in zwei besondere Unterordnungen zu theilen, gescheitert sind, da es sich dabei stets heraus- gestellt hat, dass entweder die Merkmale, auf welche die Unterordnungen basirt worden sind, nicht stichhaltig waren, oder aber dass, wie bei Cope’s Eintheilung, die scharf ge- schiedenen Unterordnungen in ihrer Zusammensetzung durchaus nicht den natürlichen Ver- wandtschaften der Toxicophidier entsprachen. Mit Hülfe eines sogenannten künstlichen Merkmals lassen sich also die in Rede stehenden Schlangen keinesfalls in zwei Abtheilungen scheiden, aber auch selbst eine Gruppirung derselben nach dem Habitus, wie Schlegel sie vorgeschlagen hat, spricht nur scheinbar zu Gunsten einer Trennung, denn wenn es sich
1) Günther. Reptiles of British